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Das schleichende Gift

Masuren-Roman von Fritz Skowronnek

 

 

6.-9. Tausend

 

Gebrüder Enoch

 

Hamburg :: Verlagsbuchhandlung :: Leipzig

1919

 

1. Kapitel.

 

Die kleine Stadt Johannisburg war zum Empfang des Ministers festlich geschmückt und in freudiger Erregung... Der Landungssteg, wo der Regierungsdampfer Kermusa anlegen sollte, war mit Tannengirlanden bekränzt. Am Eingang zum Marktplatz erhob sich eine Ehrenpforte, wo der Herr Bürgermeister den Herrn Minister mit einer schwungvollen Rede begrüßen wollte. Auf dem Landungssteg wartete der Herr Landrat mit den Kreisbeamten.

Die liebe Schuljugend hatte natürlich frei. Sie durfte sich aber ihrer Freiheit noch nicht erfreuen, sondern mußte in festlicher Kleidung Spalier bilden. Vom wolkenlosen Himmel lachte die Sonne auf das freundliche Bild herab...

Jetzt machte einer der Beamten den Landrat darauf aufmerksam, daß über dem Roschsee eine Rauchwolke zu sehen sei... Das konnte doch nur die Kermusa sein... Und sie war es wirklich. In flotter Fahrt näherte sich der kleine weiße Dampfer, drehte mit elegantem Bogen quer durch den Strom bei und legte sich sanft an den Landungssteg. Die Herren Beamten hatten ihre Häupter entblößt und die Frackweste mit einem energischen Ruck zurechtgezogen. Jetzt verneigten sie sich tief, während der Herr Minister die Verbindungsbrücke betrat. Ein mittelgroßer, älterer Herr mit blitzenden Augen und jovialer Miene, dem man den alten General auf zehn Schritt ansah... Jetzt winkte er mit der Hand.

„Moin, meine Herren, weshalb so feierlich... Das ist bei einer kleinen Dienstreise nicht erforderlich... .“

„Verzeihen, Exzellenz, es ist die Freude der Bevölkerung, die in dieser Begrüßung zum Ausdruck kommen will...“ erwiderte der Landrat.

„Na, dann los. Ich füge mich in mein Schicksal, aber macht’s nicht zu umständlich, ich habe Hunger.“

Der Herr Minister, der als Husarengeneral erst einige Jahre die deutsche Reichspost verwaltet und jetzt das Landwirtschaftsministerium übernommen hatte, war dafür bekannt, daß er sich sehr jovial und burschikos zu geben pflegte. Er schüttelte den höheren Beamten, die ihm vom Landrat vorgestellt wurden, kräftig die Hand und schritt mit ihnen durch das Spalier... Als er vor dem Markt die Schar der Stadtverordneten mit ihrem Oberhaupt erblickte, wandte er sich mit vorwurfsvollem Blick an den Landrat. „Auch das noch“... und als der Bürgermeister loslegte. „Exzellenz, die Bürgerschaft freut sich“... streckte er ihm die Hand entgegen. „Das ist sehr nett und freut mich auch. Ich danke Ihnen allen, daß Sie sich diese Mühe gemacht haben. Guten Morgen.“

Ohne sich um die verdutzten Gesichter der Bürger zu kümmern, schritt er weiter. Der Bürgermeister rief hinter ihm aus allen Leibeskräften. „Seine Exzellenz, der Herr Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, er lebe hoch!“ Mit komischer Handbewegung nach rückwärts wartete Seine Exzellenz die Ovation ab...

In Johannisburg und Umgegend herrschte in den nächsten Tagen große Aufregung über das Benehmen des Ministers. War es denkbar, daß einer der höchsten Staatsbeamten die loyalen Untertanengefühle einer ganzen Stadt in dieser Weise mißachtete, daß er eine ganze Stadtverordnetenversammlung vor den Kopf stieß? Die Demokraten feixten und sprachen von Servilismus, der den gebührenden Fußtritt erhalten hatte... An allem war nur der Herr Landrat schuld. Er hatte sich bei dem Herrn Minister schustern wollen, und nur aus diesem Grunde, ohne sich vorher zu vergewissern, ob ein festlicher Empfang angenehm sei, den Bürgermeister zu dieser feierlichen Veranstaltung veranlaßt... Nun lachte man in allen anderen Städten, die der Minister noch besuchen wollte, über den Reinfall der Johannisburger... Die Verstimmung wurde noch verschärft, als man erfuhr, daß der Herr Minister eine Förderung des masurischen Kanalprojektes, das eine Verbindung der masurischen Seen mit dem Pregel plante, ganz energisch abgelehnt und dabei den denkwürdigen Ausspruch getan hatten „Ich werde mir doch mit dem Lausekanal nicht vor den Bauch stoßen lassen“. Wieder ein Beweis, daß Ostpreußen und vor allem Masuren nur das Stiefkind der preußischen Regierung war, die für die kulturelle Bedeutung des Grenzstrichs kein Verständnis besaß. Hatte sich doch der Minister darüber gewundert, daß die schmucken Bauerndörfer und die wohlbestellten Acker sich in nichts von einer mitteldeutschen Landschaft unterschieden... Es schien, als wenn er geglaubt hatte, hier ein Seitenstück zu Sibirien zu finden.

Zu alledem paßte die Tatsache, daß er sich über die unaussprechlichen masurischen Ortsnamen geärgert hatte. Deshalb herrschte am Abend bei der Festtafel eine schlecht verhehlte kühle Stimmung in der Gesellschaft, und man war gar nicht erstaunt, als man den Herrn Minister zu dem Landrat sagen hörten „Die verflixten masurischen Dorfnamen verschandeln die ganze Gegend. Wir sind doch hier auf deutschem Boden. Weshalb haben die Dörfer nicht schon lange deutsche Namen? Es ist unmöglich, solch einen Namen wie Pietrzyken auszusprechen“... Der Herr Minister sprach das Wort etwa wie Bieterschicken aus. „Machen Sie mir in den nächsten Tagen Vorschläge auf eine Verdeutschung dieser Ortsnamen, ich werde sie sofort genehmigen.“

„Entschuldigen Sie, Exzellenz“, wandte unter tiefem Schweigen der Festtafel der Gutsbesitzer Kochann ein, „wenn ich davon abraten möchte. Es handelt sich um uralte Namen, mit denen die Behörden jahrhundertelang ausgekommen sind. Die meisten lassen sich nicht verdeutschen. Es müßten also ganz willkürlich neue Namen gewählt werden.“

„Was schadet das denn?“ erwiderte der Minister.

„Die masurische Bevölkerung wird sich verletzt fühlen. Fast in jedem Dorf leben einige Familien, deren Vorfahren mit dem Landbesitz begabt worden sind, wie zum Beispiel die Familie Pietrzyk in Pietrzyken. Diese Familien sind stolz auf die alte Überlieferung, die sie mit den Dorfnamen verknüpft.“

Der Minister winkte lachend abwehrend mit der Hand. „Wenn es gute Deutsche sind, dann müssen die Familien sich freuen, daß sie einen deutschen Ortsnamen bekommen. Also, wie gesagt, Herr Landrat, ich erwarte Ihre Vorschläge, wenn ich wieder in Berlin bin.“

Am nächsten Tage war Wochenmarkt in Johannisburg. Der große Marktplatz und alle Straßen waren gefüllt von Bauernwagen... zwischen ihnen hindurch wandten sich mühsam die Scharen der Käufer, die Getreide, Ferkel, Butter, Eier und all’ das Gute, was ein kräftiger Bauernstand hervorbringt, einhandelten. Etwas später zogen die Bauernfrauen scharenweise von Laden zu Laden, um selbst einzukaufen. Mit behender Zunge handelten sie um einen Stoff zum Kleid oder um ein farbiges Kopftuch und zogen befriedigt weiter, wenn sie schwarzlockigen Ladenjünglingen einige Groschen abgehandelt hatten.

Die Männer saßen schon lange in den Schankstuben, um sich an Bier und Schnaps gütlich zu tun. Lauter und hastiger als sonst klang Rede und Gegenrede, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, daß alle masurischen Namen verdeutscht werden sollten. Es war nicht einer unter den Bauern, der sich nicht mit vollem Fug und Recht als ein guter Deutscher hätte bezeichnen können. Viele von den hochgewachsenen Männern hatten ihre Militärzeit bei der Garde in Berlin oder Potsdam abgedient und sprachen geläufig deutsch, wenn sie auch im Umgang mit den Volksgenossen die masurische Sprache bevorzugten. Und wenn jemand ihre deutsche Gesinnung und Treue in Zweifel gezogen hätte, wäre er wohl an die Unrechten gekommen und mit schlagenden Gründen eines Besseren belehrt worden. „Das ist ein dummes Gerede“, meinte ein alter Bauer. „So gemein kann die Regierung nicht sein, uns unsere alten Namen zu nehmen.“

„Ach red’ doch nicht so, wie ein altes Weib“, fuhr ihn ein anderer an, „hat die Regierung uns nicht verboten, in Versammlungen in unserer masurischen Sprache zu reden? Weshalb tut sie das? Weiß sie nicht, daß wir treue Untertanen und gute Deutsche sind? Aber sie verbietet uns den Mund, damit wir bei den Wahlen nicht reden dürfen...“

„Kannst ja deutsch reden“, rief ein Dritter dazwischen.

„Ja, ich kann deutsch reden, aber nicht vor vielen Menschen.“

„Dann lern’ dir das.“

„Ei nee, aber ich weiß, was ich bei der nächsten Wahl tun werde. Da gebe ich nicht den Wahlzettel ab, den der Herr Landrat schickt, sondern einen anderen. Sie fliegen einem ja ins Haus.“

„Das ist ein Vorschlag, der läßt sich hören“, erwiderte der alte Bauer. „Aber erst müssen wir wissen, ob das Gerede wahr ist.“

Er stand auf und ging hinaus. Auf dem Markt, der sich schon zu lichten begann, fand er seinen Vetter Sparka aus Sparken. „Hast schon das Neuste gehört?“

„Nee, was denn?“

„Der Herr Minister, der gestern hier war, hat dem Landrat befohlen, alle unsere masurischen Namen deutsch zu machen.“

„Ach je, red’ nicht solch dummes Zeug.“

„Es ist dummes Zeug, da hast du recht, aber der Kochann aus Niedzwetzken hat es gestern bei dem Festessen selbst gehört und dagegen gesprochen.“

„Da schlag’ doch Gott den Deuwel dot“, rief Sparka.

„Das muß ich mir doch gleich befragen... Wart’ mal, da drüben geht der Zabludowski. Herr Kreissekretär“, rief er laut, „ein Wort“.

„‘nen Tag, Herr Sparka, wie geht’s?...“

„Na, wie soll’s gehn... immer auf zwei Beinen. Sagen Sie ‘mal, Herr Kreissekretär, ist es wahr, daß unsere Namen abgeändert werden sollen?“

Der Sekretär nickte. „Ja, lieber Freund, der Herr Minister hat das gestern befohlen, und das müssen wir tun. Wir haben heute schon eine Anzahl Namen aufgestellt...“

„Wie sollt ihr denn das machen?“

„Na, für Pietrzyken, das den Minister am meisten geärgert hat, werden wir Wiesental sagen. Der Name paßt doch fein... Es liegt doch im Tal zwischen Wiesen. Für Niedzwetzken sagen wir Bärendorf... für Rakowen Königstal usw.“

„Ihr seid ganz dwatsch“, brach Sparka los.

„Ja, lieber Sparka, was ist dabei zu machen, wenn der Minister doch befohlen hat.“

„Ihr werdet schon sehen, was wir Masuren dabei machen werden. Treff’ ich noch den Landrat im Amt?“

„Ja, er hat noch einige Sachen zu unterschreiben.“

Mit langen Schritten eilte Sparka zum Amt. Da standen schon die Türen der Arbeitsräume weit offen, um die bösen Dünste zu vertreiben, die sich bei Menschenansammlungen zu entwickeln pflegen. Der alte Bürodiener Kruppa kam gerade mit einer Aktenmappe aus dem Zimmer des Herrn Landrats. „Na, was willst du denn noch?“

„Ich will den Herrn Landrat sprechen.“

„Hättst früher kommen sollen. Der Herr Landrat wollen eben weggehen.“

„Dann kann ich ihn doch noch einen Augenblick sprechen... Geh’ mal rein und meld’ mich an.“

„Ich werde dem Deuwel tun und mir die Nas‘ verbrennen... Der Dienst ist zu Ende.“

„Du bist ein alter Schafskopp“, sagte Sparka und schob Kruppa zur Seite. Dann klopfte er energisch an die Tür...

Der Herr Landrat hatte sich schon die Handschuhe angezogen und den Hut aufgesetzt und war gerade noch dabei, sich eine Zigarre anzustecken, als Sparka ins Zimmer trat... „Herr Landrat, darf ich Sie noch einen Augenblick sprechen?“

„Ist es denn so dringend? Und mit wem habe ich denn das Vergnügen?“

„Ich dachte, der Herr Landrat kennen mich. Ich bin der Gemeindevorsteher von Sparken... Mein Name ist Sparka.“

„Ach ja, jetzt erinnere ich mich... Was haben Sie denn so Dringendes auf dem Herzen? Hat das nicht Zeit bis morgen?“

„Ich glaube nein, Herr Landrat... Ich habe gehört, daß unsere masurischen Ortsnamen verdeutscht werden sollen.“

Der Landrat nahm seinen Hut ab, setzte sich und bot seinem Gast mit einer Handbewegung einen Stuhl an. „Das interessiert mich. Haben Sie was dagegen?“

„Eh ja, sehr viel, Herr Landrat. Die Sache wird unter uns Masuren viel böses Blut machen.“

„Aber wieso denn, lieber Herr Sparka? Ihr seid doch alles biedere gute Deutsche, und es kann euch doch nur angenehm sein, wenn die ganze Gegend durch die neuen Namen, die wir vorschlagen sollen, ein deutsches Gepräge bekommt. Weiter bezweckt der Herr Minister nichts mit seiner Anordnung.“

„Was der Herr Landrat von unserer deutschen Gesinnung sagen“, erwiderte der Gemeindevorsteher bedächtig, „das ist ganz richtig. Ich möchte bloß dagegen sagen, daß diese alten Namen mit uns verwachsen sind. Mein Älter-Vater hat im Jahre 1435 das Dorf gegründet, das nach ihm Sparken genannt wurde. Ich habe die Handfeste, die Verschreibung des Ordens, noch jetzt und bewahre sie wie ein Heiligtum auf. Und das ist mein Stolz, Herr Landrat, daß mein Geschlecht noch in dem Dorf auf Besitz wohnt, das mein Älter-Vater gegründet hat. Und so, wie mir, geht es vielen masurischen Bauern.“

„Ich ehre Ihre Gesinnung, Herr Sparka, und weiß, was solche Gefühle bedeuten. Aber hier liegt nun einmal der strikte Befehl des Herrn Ministers vor...“

„Der Herr Minister ist doch nicht allmächtig... Wenn man das dem Herrn Reichskanzler richtig vorstellt...“

Der Landrat lächelte. „Der Herr Reichskanzler hat damit nichts zu tun, und er hat auch wohl wichtigere Geschäfte.“

„Dann gehen wir bis zum Kaiser. Ich habe mit ihm zusammen bei der ersten Kompagnie des ersten Garderegiments zu Fuß gestanden, und er kennt mich ganz genau. Wenn ich eine Bittschrift an ihn aufsetzen lasse, oder selbst nach Berlin fahre...“

Der Landrat erhob sich. „Wenn Ihnen wirklich soviel daran liegt, Ihren alten Ortsnamen zu behalten, Herr Sparka, dann will ich Ihnen persönlich gern den Gefallen tun und den Namen nicht abändern.“

„Dafür bedanke ich mich sehr, Herr Landrat, aber ich spreche nicht bloß für mich, sondern für alle meine Landsleute... Das wird viel böses Blut machen. Und bei den nächsten Wahlen werden Sie die Quittung dafür bekommen.“

„Ach, lieber Sparka... bis dahin hat sich die Erregung längst gelegt.“

„Sie können sich auch irren, Herr Landrat, Das ist nicht das einzige, worüber wir unzufrieden sind. Jetzt sollen wir auch nicht den Lausekanal bekommen, wie der Herr Minister gesagt hat.“

„Ja, das finde ich auch bedauerlich, daß wir so stiefmütterlich von der Regierung behandelt werden. Und Sie meinen, daß sich auch die Bauern darüber ärgern?“

„Aber, Herr Landrat, ich habe schon als kleiner Junge meinen Vater darüber sprechen hören, was der Kanal uns bringen würde. Wir können unser Getreide, unser Holz, unsere Steine wegschaffen, wir bekommen billig Futter- und Düngemittel. Da wird sich mancher Bauer rausrappeln, wenn er bloß die Steine von seinem Acker los wird.“

„Das ist schon richtig, lieber Sparka, aber die Regierung scheint wirklich jetzt nicht über die Mittel zum Kanalbau zu verfügen. In der anderen Sache werde ich noch mal beim Herrn Minister vorstellig werden... Vielleicht einigen wir uns, daß bloß die schlimmsten

Namen, die so schwer auszusprechen sind, verdeutscht werden...“

„Na ja, Herr Landrat, sehen Sie man zu, was sich machen läßt.“

In schweren Gedanken ging der Landrat nach Hause. Wenn die Bauern bei der nächsten Wahl Sperenzchen machten und eine Menge roter Stimmen abgaben oder gar einen liberalen Kandidaten durchbrachten, dann war die Versetzung nach dem Westen, auf die er stark hoffte, für die nächsten Jahre ausgeschlossen... Er konnte hier in Masuren versauern... und er hatte schon von einer Berufung ins Ministerium geträumt...

 

2. Kapitel.

 

Am Sonntag fuhren bei dem Bauern Wrona in Wronken zwei Wagen vor. Rudolf Wrona war, trotzdem sein Besitz einem kleinen Rittergut nahe kam, ein richtiger masurischer Bauer. Ruhig und bedächtig, aber auch zäh und eigensinnig, mit klugen Augen in dem glatt rasierten, breiten Gesicht. Er begrüßte seine Gäste im Flur.

„Na nu, was ist denn los? Weshalb kommt ihr allein? Warum habt ihr die Frauen und Kinder nicht mitgebracht?“

„Weil wir Männer allein unter uns was zu besprechen haben“, erwiderte Sparka. „Ich habe auch dem Sarka in Sarken sagen lassen, er hat aber heute keine Zeit.“

„Na, dann kommt rein.“ Er öffnete die Tür zu den Staatsgemächern. Fast jeder masurische Bauer hat zwei bis drei Zimmer, die ganz modern, mit guten Möbeln, Teppichen und Bildern eingerichtet sind. Sie werden aber nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt. Für gewöhnlich spielt sich das Leben der Familie in einer einzigen großen Stube ab, die noch nach alter Weise mit weißgescheuerten Tischen und Bänken ausgerüstet ist und meistens auch den Herd enthält...

Nachdem er seinen Gästen eine sehr rauchbare Zigarre angeboten hatte, fragte er: „Na, nu sagt mal, was ist denn los?“

„Hast du das noch nicht gehört?“ erwiderte Pietrzyk, ein großer, hagerer Graubart, „der Herr Minister hat sich über meinen Namen geärgert, und nun will man uns unsere alten Namen nehmen.“

Jetzt warf Sparka lachend ein:. „Der Johann nimmt den Mund zu voll. Unsere Namen kann man uns nicht nehmen, aber unsere Dörfer will man umtaufen. Pietrzyken soll Wiesental heißen usw...“

Kopfschüttelnd blieb Wrona, der eine Flasche Kognak inzwischen entkorkt hatte, vor dem Tisch stehen. „Ach Kinder, das ist ja bloß ein Märchen. Denkt bloß, wenn in allen Akten, in den Grundbüchern usw. die Namen geändert werden sollen... was macht das für Arbeit...“

„Und die Kosten werden wir tragen.“

„Na, das wäre doch ausgeschlossen“, erwiderte Wrona, „wenn sie das verlangen, dann gehe ich bis zum Kaiser.“

„Herrschaften, laßt mich mal jetzt reden“, fiel Sparka ein. „Ich habe schon mit dem Rechtsanwalt darüber gesprochen, der meint, es hat gar keinen Zweck, wenn wir drei als Deputation nach Berlin fahren. Wir kriegen den Kaiser nicht zu sehen. Und wenn wir eine Eingabe an den Reichskanzler machen, dann gibt er sie an den Minister, der die Namensänderung befohlen hat... und dann kriegen wir den Bescheid: Auf Ihre Eingabe vom soundso vielten wird erwidert... Das habe ich erst im vorigen Jahr bei meinem Prozeß wegen der Wiese ausprobiert. Jede Eingabe kriegte ich von dem zurück, über den ich mich beschwert habe. Nein, wir müssen uns anders wehren.“

Er nahm den Kognak, den ihm Wrona eingeschenkt hatte, und fuhr fort. „Ich weiß auch schon, wie. Da ist beim Balk in Lipinsken ein Neffe zu Besuch. Der berichtet für die Zeitungen. Er soll darüber schreiben. Ich glaube, wenn das an die große Glocke kommt, dann werden sie sich vielleicht genieren, solche Dummheit zu machen.“

„Und wenn das nicht hilft?“ fiel Pietrzyk ein. „Die Regierung wird sich viel daran kehren, was die Zeitungen schreiben.“

„Das ist auch möglich“, erwiderte Sparka. „Dann wählen wir gegen die Regierung. Ich war schon beim Landrat, und wie ich ihm mit dem Zaunpfahl winkte, war er wie umgewandelt. Ich habe auch mit Zabludowski gesprochen. Ich habe ihm ein Stück Geld geboten, wenn er den Brief an den Minister verschwinden läßt... Dann kommt die Geschichte vielleicht in Vergessenheit, und inzwischen können wir auch einen anderen Minister bekommen. Aber der Kerl hat zuviel Angst. Ja, zu mir zur Jagd kommen und Böckchen schießen oder Häsken, das kann er, aber das hat aufgehört... Gieß’ noch einen ein, Wrona, ich reg’ mich dabei auf...“

„Also du meinst, wir sollten mal anders wählen“, nahm Wrona jetzt das Wort. „Weißt, ich habe auch schon daran gedacht. Der Kaiser will doch wissen, wie wir denken, ob wir mit der Regierung zufrieden sind. Aber kriegt er das zu wissen, wenn wir immer bloß so wählen, wie der Herr Landrat befiehlt? Keine Versammlung, wo man sich aussprechen kann. Da brauchen wir doch keinen zu wählen, da kann doch der Landrat hinfahren und sagen, was er will.“

„Ja, darüber habe ich mir auch schon meine Gedanken gemacht“, meinte Sparka bedachtsam. „Aber, wenn bloß wir paar Mann einen anderen Zettel abgeben, dann hilft das nichts... Da müßten wir schon einen Mann aufstellen, über den sich die Regierung ärgert.“

„Aber Herrschaften, darüber brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen, wir haben doch hier schon einen Kandidaten, der auf die Regierung wirkt wie das rote Tuch auf den Bullen“, rief Pietrzyk dazwischen...

„Ach, du meinst den Eberhard-Komerow“, fiel Wrona ein. „Das möcht’ ich denn doch nicht. Mit den Roten, die den Kaiser wegjagen und alles teilen wollen, möchte ich keine Gemeinschaft haben.“

„Wir wollen’s doch bloß dem Landrat heimzahlen“, erwiderte Pietrzyk.

„Wenn auch... Nein, nein, für den Roten kriegen wir keine hundert Stimmzettel zusammen... Nein, wir müssen einen Kandidaten haben, den wir auch durchbringen, daß wir wirklich etwas davon haben“, meinte Wrona...

„Herrschaften, das eilt ja nicht. Die nächste Wahl ist in zwei Jahren. Bis dahin wird noch viel Wasser vom Berg laufen. Wir müssen aber jetzt was tun. Also zunächst wird der Balk an die Zeitungen schreiben. Dann werde ich mit dem Rechtsanwalt reden. Der ist liberal, wie mir sein Bürovorsteher gesagt hat. Wenn wir ein paar hundert Mark zusammenlegen, dann läßt er so einen Redner von seiner Partei aus Königsberg kommen, und der muß in jeder Versammlung immer davon reden, daß man uns unsere Dorfnamen nehmen will, und dann steht einer von uns auf und fragt, ob seine Partei dagegen ist, und wenn er ja sagt, dann bitten wir ihn um einen Kandidaten, den werden wir wählen. Seid ihr einverstanden?“

„Ja“, erwiderte Wrona, „hundert Gulden will ich an die Sache wenden.“

„Und ich gebe zweihundert“, rief Pietrzyk, „und du auch, Sparka.“

„Na, denn sind wir ja einig, und nu kommt rüber in die andere Stube. Die Mutter hat wohl schon was zum Frühstück gemacht...“

Frau, Sohn und die zwei Töchter des Hausherrn saßen schon in der großen Stube am Tisch. Sie standen auf, die Gäste zu begrüßen. Der Sohn, ein stattlicher Jüngling, hatte auf seiner linken Backe einen Schmiß, der ihn als Student auswies. Das ist in Masuren wohl ebenso wie in anderen Gegenden keine Seltenheit, daß reiche Bauern einem Sohn höhere Schulbildung angedeihen lassen und ihn auf die Universität schicken. Wrona hatte es nicht gewollt, weil es sein einziger Sohn war, der ‘mal das Gut übernehmen sollte, aber er hatte seiner Frau nachgegeben, die ihren Sohn durchaus im Talar auf der Kanzel sehen und predigen hören wollte. Die ältere der beiden Töchter, Frieda, hatte auch in Johannisburg die Töchterschule besucht und trug sich städtisch gekleidet. Sie hatte keine Lust, einen Bauern zu heiraten und sich in der Wirtschaft abzurackern, wie sie zu sagen pflegte. Bei der zweiten Tochter, die eben erst sechzehn Jahre alt geworden war, hatten die Eltern den Fehler vermieden und sie ganz einfach zu Hause erzogen. Sie sollte einen Bauern heiraten und den Hof verschrieben bekommen... „Na, wie geht’s dir denn, Studiosus, auf der Hochschule?“ fragte Sparka bei der Begrüßung. „Wirst bald dein Examen machen. Dann kannst dich schön in ein warmes Nest setzen, wenn der alte Bogdan in Kumilsko Pension nimmt.“

Der Student zuckte etwas verlegen die Achseln. „Ich weiß nicht, Onkel Gottlieb, ich möchte am liebsten zu Hause bleiben und Bauer werden.“

Wrona drehte sich um und sah erstaunt, ja verblüfft seinen Sohn an. „Na nu... das ist ja das erste, was ich höre.“

„Ach, das sind solche Redensarten“, beschwichtigte die Mutter, „die kommen bloß aus Langerweile...“

„Das meine ich auch“, erwiderte der Vater... „Ich habe all’ die Jahre das viele Geld für dich bezahlt, und das soll jetzt rausgeschmissen sein?“

„Ach, nu laß das doch“, fiel die Mutter ein. „Nehmt Platz und langt zu, ich habe auch Grog gemacht...“ Während sie die Gläser füllte, fragte sie: „Was habt ihr denn heute so Wichtiges vorgehabt?“

„Ach, frag’ nicht, Mutter, das sind Männersachen“, warf Wrona ein. „Aber Rudolf, weshalb sollen die Frauen das nicht wissen?“ meinte Pietrzyk. „Unsere Dorfnamen sollen verdeutscht oder richtiger gesagt, umgetauft werden. Und dagegen wollen wir uns stemmen.“

„Aber Onkel“, meinte der Student erstaunt, „weshalb wollt ihr euch dagegen stemmen? Wir sind doch schon einige Jahrhunderte gute Deutsche, weshalb sollen wir denn nicht auch deutsche Ortsnamen haben?“

„Na, nu seht mir einer den Jungen an“, rief Wrona mit deutlichem Ärger in der Stimme. „Unsere Dorfnamen sind den Herren bis jetzt gut gewesen, und mit einem Male, wie sich der Herr Minister daran die Zunge zerbrochen hat, sollen sie schlecht sein!“

„Mich wundert das gar nicht, daß dein Adolf so denkt“, meinte Sparka, „der ist auf die hohe Schule gegangen und hat verlernt, so zu denken, wie wir denken. Ich wundere mich bloß, daß die Regierung so gar keine Achtung vor dem hat, was von altersher von unseren Vorfahren stammt. Die Namen sind doch ein Zeugnis dafür, daß unsere Vorfahren treu zu ihrer Herrschaft gestanden haben. Und wenn man uns die Namen nimmt, dann, meine ich, ist es der Regierung ganz egal, wie wir uns zu ihr stellen. Aber nun wollen wir davon aufhören. Wie geht’s dir, Frieda? Hast schon ‘nen Schatz?“

Das stattliche hübsche Mädchen lachte laut auf.

„Onkel, mehr als einen, wenn ich wollen möchte. Aber ich will nicht, bis der Richtige kommt.“

„Das muß wohl ganz was Feines sein?“

„Den ersten besten nehm’ ich nicht... Ich will bloß in die Stadt heiraten.“

„Meinst du, daß du es dort besser haben wirst?“

„Ja, das meine ich.“

„Und du, Anna, willst du auch nach der Stadt?“ Die zierliche Blondine schürzte die Lippen...

„Ich denke nicht daran. Ich bleibe das, was meine Eltern sind. Ich will im eigenen Haus wohnen und nicht bei fremden Menschen zur Miete.“

„Da hast du recht, mein Kind“, meinte Vater Wrona. „Ich möchte es auch nicht aushalten in der Stadt... Ja, mal zum Theater oder zu einem Vergnügen, aber immer zwischen den Steinhäusern leben...“

Wrona hatte seine Gäste an die Wagen geleitet und trat wieder ein. Seine Frau sah es ihm an, daß der Ärger in ihm saß. Sie faßte ihn um. „Vater... heute gibt’s was Gutes zu Mittag.“

Er schob sie zur Seite. „Laß man, Mutter, ich habe erst mit dem Adolf zu reden. Was hast du da vorhin gesagt? Du möchtest nicht mehr weiter studieren?“

„Ja, Vater, das habe ich gesagt. Es fuhr mir so heraus... aber nun weißt du, wie mir zumut ist.“

„Zumut ist?“, wiederholte der Alte spottend. „Mir ist auch manchmal nicht zum Arbeiten zumut, aber dann beiß’ ich die Zähne zusammen und dann geht’s...“

„Ja, Vater, bei dir ist das was anderes. Ihr habt mich gar nicht gefragt, ob ich Pastor werden will.“

„Das sollten wir dich erst fragen?“

„Lieber Vater, reg’ dich nicht auf“, bat der Student mit Tränen in den Augen. „Du bist so klug, du wirst mich verstehen, wenn ich dir sage, daß ich nicht mehr daran glaube, was ich als Pastor den Leuten vorpredigen soll.“

„Adolf!“, schrie die Mutter auf, „kannst du mir das antun? Du willst nicht mehr an Gott glauben?“ Sie schlug die Hände vors Gesicht, ließ sich auf die Bank nieder und weinte still vor sich hin.

Vater Wrona wiegte nachdenklich sein graues Haupt. „Ja, das wäre ein großes Unglück für dich und für die Mutter...“

„Und du, Vater... wie denkst du darüber?“

„Ich meine, das ist unrecht von dir gehandelt, daß du mir das erst jetzt sagst...“

„Ich bin mir ja erst in den letzten Wochen klar darüber geworden, daß das meiste, was ich die Menschen als Religion lehren soll, von Menschen erdichtet ist... Ich glaube, das hast du auch schon durchschaut oder we...

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