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Das Vermächtnis

Ein polnischer Gutsroman

 

Original-Roman von Fritz Skowronnek

 

 

 

Johannes Knoblauch, Verlag, Berlin SW

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Druck der Spannerschen Buchdruckerei in Leipzig

Erstes Kapitel

 

Die Nacht war bitter kalt. Der Herbststurm, der am Tage mit Heulen und Brausen die Wipfel der entlaubten Bäume geschüttelt hatte, war zur Nacht ruhiger geworden. Aber er hatte aus den Steppen Rußlands die Kälte mitgebracht. Wie mit Messern schnitt sie dem Reiter ins Gesicht, der einsam die Straße zog. Er war sonst gegen die Kälte wohl verwahrt. Der Kopf steckte bis über die Ohren in einer dicken Pelzmütze, der Oberkörper war mit einem unbezogenen Schafspelz bekleidet, wie ihn die Landleute in Galizien zu tragen pflegen. Der Pelz sah grau und verwittert aus, wie das Gesicht seines Trägers, das heute auch noch einen sehr ärgerlichen Ausdruck angenommen hatte. Trotzdem versäumte der Reiter nicht, seinem struppigen Gaul von Zeit zu Zeit ermunternd zuzusprechen. Da nickte das Pferd jedesmal mit dem Kopfe, als wenn es die Worte verstände, und beschleunigte seine Schritte — jedoch vorsichtig, denn der Weg war schwierig. Er führte ziemlich steil herab und war außerdem mit Steinen dicht besät. Wer nie eine richtige polnische Landstraße gesehen hat, konnte kaum glauben, daß dieses Trümmerfeld für die große Begüterung, die in der Nähe lag, die einzige Verbindung mit Lemberg, der nächsten großen Stadt, darstellte.

Wie oft hatte der alte Diener des Herrn von Poranski, jenes reichen Besitzers des wegen seiner vorzüglichen Bewirtschaftung weit und breit bekannten Rittergutes von Chmilowo, bei Tag und Nacht diesen Weg zurückgelegt. Heute aber war ihm der Auftrag, nach Lemberg zu reiten, sehr ungelegen gekommen. Von dem letzten Gelage des Neffen des Herrn von Poranski, der sich den reich besetzten Tisch seines Onkels sehr gut bekommen ließ, hatte er eine Flasche Rum beiseitegebracht, und der Topf mit dem kochenden Wasser hatte schon in der Ofenröhre gestanden. Da läßt sein Herr ihn plötzlich rufen und übergibt ihm einen Brief an seinen Freund, den Notar Kolakowski in Lemberg. Es war acht Uhr abends. Drei Stunden hin, drei Stunden zurück — zwei Stunden Ruhe fürs Pferd, da ist die Nacht herum.

Er bog sich vornüber und klopfte seinem Pferd auf die dichte Mähne. „Lauf, mein Braunes — wenn wir erst den Teufelsgraben heruntergeklettert sind, geht’s eine ganze Weile besser, dann steige ich ab und laufe mit dir um die Wette, um mir die Beine warm zu laufen. Lauf, mein Braunes, lauf!“

Er schwieg und hing seinen Gedanken nach. Das heiße Wasser, das in der Ofenröhre nutzlos brodelte, hatte er vergessen. Er dachte an seine Zukunft. Sein Herr lag schwer krank. Wenn er die Augen zumachte, fing eine andere Wirtschaft auf Chmilowo an. Dann erbte der Neffe, der junge Herr Viktor, die ganze schöne Besitzung. Das würde ja wohl eine sehr lustige Geschichte werden, so etwa wie bei dem verstorbenen Vater des Herrn Viktor — jeden Tag Gäste und viele Gäste.

Er zog die Zügel an und ermunterte sein Pferd durch einen leichten Schenkeldruck zum Weitertraben.

„Geh vorsichtig, mein Braunes! — Hundertmal hast du mich schon den Teufelsgraben heruntergetragen. Er wird auch diesmal —“

Ein tiefes, zorniges Knurren schnitt ihm die letzten Worte ab. Mehr erstaunt, als erschreckt, bog sich der alte Diener zur Seite. Sein treuer Soldan, ein großer, starker Wolfshund, war ihm heimlich gefolgt und schon eine ganze Zeit unbemerkt in einiger Entfernung mitgelaufen. Jetzt heulte der Köter wütend auf und sprang grimmig gegen die dunkle Gestalt an, die eben hinter einem dichten Gebüsch hervortrat.

Der Reiter hatte noch kaum ein erschrockenes „Jesus Maria“ gemurmelt, als auch schon ein Schuß krachte und der Hund heulend zusammenbrach.

Der durch die Finsternis zuckende Lichtstrahl, die dicht vor seinen Füßen einschlagenden Schrote machten das Pferd stutzig. Erst tat es einen Satz zur Seite, dann raste es vorwärts den steilen Abhang hinunter, den es sonst langsam hinabkletterte.

Vergebens suchten die Hufe auf dem losen Geröll einen Halt zu finden — ein dumpfer Fall — ein Rollen — zuletzt ein heftiges Zacken, wie wenn das Tier im Todeskampfe mit den Füßen schnellt.

Dann wurde es still. — Nur der Wind zog pfeifend durch die Schlucht, auf deren Grund ein kleiner Bach munter dahinsprang.

Oben auf dem Felsen stand regungslos ein Mann und horchte mit fiebernden Pulsen und vorgebeugtem Körper in die Nacht hinaus. Trotz des kalten Windes standen ihm dicke Schweißtropfen auf dem Gesicht, dabei schlugen ihm die Zähne wie im Fieberfrost zusammen. Erst nach einer Weile hob er zögernd den Fuß, um vorsichtig dem Todesweg des Reiters nachzuklettern.

Schon nach wenigen Schritten machte er halt und lauschte wieder. Dann gab er sich einen Ruck und schritt vorsichtig weiter.

Je tiefer er stieg, desto mehr beugte er sich vornüber und forschte mit Auge und Ohr nach dem Reiter. Jetzt glaubte sein Auge eine dunkle Masse zu erkennen. Er blieb stehen und horchte. Alles war still. Zaghaft ging er näher. Das war der große Felsblock, um den herum der Weg die scharfe Biegung machte. Hier war wohl das Pferd zu Fall gekommen! Dann war es über den Weg hinaus den Abhang abwärts in die Schlucht gerollt.

Lange stand der Mann unentschlossen am Rande der Schlucht. Er fürchtete sich vor dem, was er dort unten finden mußte. Endlich schlich er weiter. Er legte sein Gewehr auf den Boden und begann rückwärts gewandt den Abstieg. In wenigen Minuten war er unten. Nun stand er wieder und lauschte. Sein Auge vermochte die Finsternis nicht zu durchdringen. Er griff in die Tasche und holte eine Schachtel Streichhölzer hervor. Mit einem ärgerlichen Laut steckte er sie jedoch wieder zu sich.

„Torheit!“ murmelte er. „Der Teufel könnte sein Spiel treiben! Der Lichtschein könnte mich verraten.“

Er biß die Zähne zusammen und haftete sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten vorwärts. Jetzt stieß sein Fuß abermals gegen eine feste Masse. Zögernd streckte er die Hand vor, das war der Körper des toten Pferdes. Die Hand tastete weiter. Das war ein Fuß des Reiters; langsam ging die Hand am Körper hinauf, bis zum Arm — er war gebrochen.

Aber nun schien die Scheu von dem Manne, der diese traurige Untersuchung vornahm, geschwunden zu sein. Er beugte sich vor und flüsterte:

„Fedor, lebst du noch?“

Er erhielt keine Antwort. Der Mund des alten Mannes war geschlossen für immer.

Nun glitten die Hände weiter, knüpften den Pelz des Toten auf und suchten. Sie fanden einen dicken Brief. Er wanderte sofort in die Tasche des Mannes.

„Nur jetzt keine Überstürzung! Kaltes Blut! Die Knöpfe müssen wieder zugemacht werden — so!“

Er wandte sich zurück und kroch den Abhang zur Straße hinauf. Mechanisch schritt er weiter. Da traf ihn ein Gedanke wie ein Schlag.

„Mein Gewehr!“

Er kehrte zurück und begann zu suchen. Hier, wo das morsche Geländer des Weges von dem Anprall des Pferdes weggerissen war, mußte es liegen, aber vergeblich fuhr die Hand tastend den Boden entlang. Kalter Angstschweiß trat dem Suchenden auf die Stirne.

„Ohne das Gewehr kann ich nicht weggehen. Es würde mein Verräter.“ —

Wieder suchte er eine Weile vergeblich. Die Knie begannen ihm schon von dem langen Hocken zu schmerzen. Er setzte sich auf den Boden und begann zu überlegen.

„Da, wo das Geländer aufhörte, hatte ich mich hingesetzt. Dort muß auch das Gewehr liegen. Es könnte vielleicht abgerutscht sein nach der Schlucht.“

Bei diesem Gedanken schüttelte er sich vor Aufregung. Erst nach einer Weile hatte er sich so weit zusammengerafft, daß er langsam hinabzuklettern begann. Es war so, so wie er vermutet hatte. Das Gewehr war abgeglitten, hatte aber bald an einem Strauch einen Halt gefunden.

Tief aufatmend hing der Mann das Gewehr über den Rücken und klomm wieder empor. Das Schwerste war überstanden. Wenn er so unbemerkt ins Haus zurückgelangte, wie er weggegangen war, wenn der Onkel nicht zufällig während seiner Abwesenheit nach ihm geschickt hatte, dann hatte niemand seinen Weggang bemerkt. Und wenn schon, dann müßte die Ziganka schwören. Aber war das überhaupt nötig?

Was war denn geschehen? Der Fedor war in der Finsternis abgestürzt, nichts weiter. Daß er einen wichtigen Brief bei sich trug, wußte niemand außer der einen — der „Ziganka“, wie sie alle auf dem Gute das schwarzhaarige Mädchen nannten, das wegen seiner schmeichelnden Stimme und des weichen Wesens immer am meisten dem kranken Oheim Gesellschaft leisten mußte, und das dem alten Fedor wenige Stunden vorher den Brief zur Besorgung übergeben hatte. Der alte Diener aber pflegte nie mit einem Menschen über Aufträge, die ihn nach Lemberg führten, zu sprechen.

Ja, aber der Hund. Sicherlich war an der Stelle, wo er zusammengebrochen war, eine Blutlache. Man konnte, nein, man mußte den Zusammenhang zwischen dem gewaltsamen Tode des Hundes und dem Absturz des Reiters ahnen.

Er setzte sich auf einen Stein am Wege und begann zu überlegen. Es war doch besser, wenn er den Hund beiseite schaffte und in die Schlucht warf. Da kam den ganzen Winter keine Menschenseele hin, und bis zum Frühjahr würde das Raubzeug den Kadaver vertilgt haben.

Mit einer Anstrengung schleppte er den großen, schweren Körper des toten Hundes die wenigen Schritte über den Weg und warf ihn hinab. „Es wird auch keine Blutlache auf dem Wege sein, denn der Schutz war gut.“

„Und doch bist du ein Mörder!“ sprach eine Stimme in ihm.

„Nein, nein!“ flüsterte er heiser, als müßte er sich selbst die Antwort geben. „Nein, weshalb hatte der alte Mann den Hund bei sich, weshalb mußte der Köter mich anfallen? Sonst hätte ich den Alten angerufen, er hätte mich an der Stimme erkannt. Wir hätten miteinander über den Preis verhandelt. So dumm war der Alte nicht. Er wußte, daß ich bald hier der Herr sein werde, ich hätte ihm ein großes Stück Geld geboten. Aber es ist besser, daß es so gekommen ist. Das Schicksal hat es so gewollt! Wer kann mir eine Schuld vorwerfen an dem — Unglücksfall?“

So schnell als es der Weg gestattete, schritt er vorwärts. Seine Gedanken hatten ihn so beschäftigt, daß er heftig zusammenfuhr, als sein Ohr jetzt einen scharfen Laut vernahm. Ohne sich zu besinnen, sprang er seitwärts und kauerte sich hinter einem niedrigen Tannenbusch zusammen. Kein Zweifel, ein Reiter kam ihm auf der Straße entgegen. Hell klapperten die beschlagenen Hufe des Pferdes auf der hart gefrorenen Straße.

Wie ein Schatten zog der Reiter an ihm vorüber. Vergebens suchte das Auge die Gestalt zu erkennen. Es konnte nur ein neuer Bote aus Chmilowo sein! Neue Zweifel tauchten in ihm auf. Hatte sein Oheim sich besonnen, hatte er sein erstes Schreiben widerrufen, oder womöglich etwas Wichtiges hinzugefügt, was er vergessen? Die Knie zitterten ihm, als er sich aus der gebückten Stellung emporrichtete. Sie drohten, ihm den Dienst zu versagen. Doch mit starker Willenskraft raffte er sich zusammen und eilte weiter, bald gehend, bald laufend, als wenn ihn etwas jagte.

 

Zweites Kapitel

 

Im grünen Zimmer des Schlosses von Chmilowo lag Herr von Poranski lang ausgestreckt auf einer Chaiselongue. Jedes Zimmer im Schloß hatte seine eigene Farbe. Dieses allerdings hätte auch Jagdzimmer heißen können, denn seine Wände waren mit Jagdemblemen aller Art geschmückt. Da hingen gewaltige Geweihe und Rehkronen, dazwischen die ausgestopften Köpfe von Bären, Wölfen, Elchen; Jagdtrophäen, wie sie nur ein altes, auf der Scholle eingewurzeltes Geschlecht in solcher Fülle und Mannigfaltigkeit anzuhäufen vermag. Eine ganze Wand war mit Schießwaffen bedeckt, vom ältesten Radschloßgewehr bis zum modernen Hinterlader. Dazwischen blitzten Hirschfänger und Degen.

Für anderen Wandschmuck blieb daher wenig Platz. Einige Ölgemälde blickten freundlich aus der Einöde von Spießen und Jagdgewehren vor, Bilder ohne hohen künstlerischen Wert, die von befreundeter Hand gemalt zu sein schienen und anmutige Partien aus der Umgegend des Schlosses darstellten. Nur ein Porträt fiel unter de...

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